Bondingtherapie

Die seelischen und psychosomatischen Krankheiten des heutigen Menschen betrachtet Casriel als das Ergebnis einer kulturell bedingten Konditionierung. Der Kern dieser Konditionierung ist ein Zustand des Mangels im Bereich eines lebenswichtigen Grundbedürfnisses des Menschen, nämlich der Bindung. Genauer gesagt ist Bonding das biologisch verankerte Grundbedürfnis des Menschen nach gefühlsmäßiger Offenheit (Herzoffenheit) und körperlicher Nähe zu anderen Menschen.

Die Liebesfähigkeit des Menschen ist seine höchste Kraftquelle, die ihn immer wieder neu mit allem Leben verbindet. Für Liebe, die wir für einen anderen empfinden, wird uns Lebenskraft geschenkt. In gleicher Weise erhalten wir Lebenskraft, wenn wir Liebe und Mitgefühl für uns selbst empfinden. Das ist, wie wir alle wissen, nicht immer leicht. Viele von uns haben vermutlich Hemmungen, Liebe die uns geschenkt wird, mit offenem Herzen anzunehmen.

Ich selber hatte nach den Schatten meiner Kindheit und späterer Verletzungen mein Herz “sicherheitshalber“ verschlossen. Zeitweise glaubte ich, wenig wert zu sein und Liebe nicht verdient zu haben. So versuchte ich, mein schwaches Selbstwertgefühl durch sportliche und berufliche Leistungen aufzubauen. Ich ging sehr hart mit mir selber um und konnte mein Leben wenig genießen. Wegen der Angst vor körperlicher und seelischer Nähe und somit erneuten Verletzungen, wirkte ich für meine Mitmenschen oft unnahbar und scheinbar arrogant. Erst durch die eigenen Erfahrungen beim Erlernen der Bonding Psychotherapie konnte ich mich in meinem Wesen ändern. Diese vorwiegend unsere Gefühle beeinflussende Körpertherapie des amerikanischen Psychiaters Dan Casriel ermöglichte es mir, die Liebe anderer in reifer Weise anzunehmen und anderen zu schenken und die zwischenmenschliche körperliche Nähe als Kraftquelle anzunehmen und zu genießen. Diese Stärkung der Liebesfähigkeit, die sicherlich in jedem von uns Menschen angelegt ist, machte mich zu dem herzoffenen und glücklichen Menschen, der ich heute bin. Liebe herzoffen anzunehmen und andere innig zu lieben, ist vermutlich das Gefühl, welches wir in unserer Kultur am schwersten aufzubringen vermögen. Gerade wir Deutschen haben verwunderlicherweise noch größere Schwierigkeiten, uns von der Liebe anderer berühren zu lassen, als sie zu schenken. Es ist geradezu so, als ob wir uns gegen das, was wir am meisten brauchen – nämlich geliebt zu werden – am meisten wehren. Diese Ängste führen meiner Meinung nach dazu, dass wir in Deutschland im psychotherapeutischen Bereich eher Therapieverfahren anwenden, die unser Bewusstsein und unser Verhalten verändern wollen. Ich kenne wenige Therapeuten und Therapiemethoden, die darauf abzielen, uns gefühlsmäßig zu öffnen und unsere Liebesfähigkeit wieder zu entdecken und fortzuentwickeln. Wo doch die Wiederöffnung unseres Herzens, Heilung von unserem inneren Getrennt- und Gebrochensein ermöglicht und uns wieder tiefer beziehungsfähig macht. Wenn unsere Liebe wieder fließt, ist es ein beglückendes Gefühl für uns selbst und auch für diejenigen, die uns ihre Liebe schenken. Besonders angewiesen auf unsere Fähigkeit zu lieben, sind wir in unseren Krisen, also genau dann, wenn es etwa durch Krankheit (wie z.B. Krebs), Verlust oder Gewalt, zu bitteren Enttäuschungen gekommen ist. In unserer Gesellschaft finden sich kaum Vorbilder, geschweige denn eine Kultur dafür, in der sich unsere Liebesfähigkeit ausbilden kann. Der Psychiater und ehemalige Vorsitzende des Förderkreises für Ganzheitsmedizin, Kornelius Roth, hatte einmal in einem Vorwort bei einem Pfingsttreffen in Bad Herrenalb- welches ich dir sehr empfehlen kann – folgende Fragen gestellt: Hast du schon einmal davon gehört, dass Menschen, die sich trennen, statt Rosenkriege zu führen sich gegenseitig großzügige Trennungsgeschenke machen, etwa als Dank für die Zeit des Miteinanders und des gemeinsamen Lernens? Oder, dass Menschen, denen das Sterben bevorsteht, gezielt die Nähe und die versöhnende Begegnung mit den Weggefährten suchen, zu denen noch unverheilte Verletzungen bestehen?

Nach diesen Vorworten, welche vorwiegend das Ziel der Bondingtherpie beschreiben, bist du nun vermutlich gespannt darauf, auf welche Weise diese körperlich-emotionale Therapiemethode deine alten seelischen Verletzungen heilen und dein Herz öffnen kann. Ich möchte dich nun schon einmal darauf vorbereiten, dass diese Therapie für uns eher distanzierte Deutsche eine große Herausforderung darstellt und bei den meisten anfangs größere Ängste auslöst. Um diese Ängste und Hemmungen so gering wie möglich zu halten, beginnen wir mit den Teilnehmern Nähe-Übungen sowohl körperlicher als auch seelischer Art. Dies können zum Beispiel leichte Berührungen, Massagen und Eye-Bonding sein, wobei man sich gegenseitig länger in die Augen schaut und dabei die aufkommenden Gedanken und Gefühle wahrnimmt. Aus Angst vor missbräuchlichen Verhaltensweisen sollte zum Schutz der Teilnehmenden und Therapeuten Bonding nur in Form einer Gruppentherapie stattfinden. Wir Bondingtherapeuten fordern zu Beginn einer Sitzung unsere Teilnehmer auf, sich einen Partner auszusuchen, zu dem bereits ein gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde. Diese Paare einigen sich dann darauf, wer zuerst arbeitet und wer dabei den anderen begleiten möchte. Nun gibt es vorwiegend zwei Möglichkeiten der Vorgehensweisen. Bei schwer traumatisierten und ängstlichen Patienten setzen sich beide auf einer Matte, wobei der Begleiter sich mit dem Rücken an einer Wand abstützen kann. Der Arbeitende legt sich in seinen Schoß und lässt sich vom Begleiter in die Arme nehmen. Die etwas gewöhnungsbedürftigere Variante ist, dass der arbeitende Teilnehmer sich mit dem Rücken auf eine Matte legt und der Begleiter, wir nennen ihn auch gerne „Teddybär“, sich auf seinen Partner legt. Anschließend beginnen beide Partner sowohl in der Sitz-, wie auch in der Liegeposition, synchron, also gleichzeitig, ein und auszuatmen. Während der nicht arbeitende Begleiter nur körperlich und gefühlsmäßig präsent sein und keine Gespräche führen sollte, spürt der Arbeitende in sich hinein und fühlt, was die ungewöhnliche Nähe und das Gewicht des Partners körperlich und gefühlsmäßig in ihm auslöst. Nach kurzer Zeit taucht meist eine Vielfalt alter Gefühle, Einstellungen, Erinnerungen und Bilder auf, die nun ausgedrückt werden können. In dem Maße, in dem mehr Vertrauen in die eigenen Gefühle und zum Partner gewonnen wird, verändert sich die Nähe von etwas Fremdem und Beängstigendem zu einem angenehmen und bestätigenden Kontakt. Der Arbeitende wird aufgefordert, körperliche Empfindungen und Gefühle laut auszusprechen, auszuschreien und auch gefühlsmäßig deutlich auszudrücken. Je lauter die Ausdrucksweise stattfindet, umso tiefer kann der Betroffene an seine Gefühle kommen. Dies können zum Beispiel folgende Aussprüche sein: „Du bist mir zu schwer! Ich bekomme keine Luft! Ich halte den Druck nicht mehr aus! Diese Nähe macht mir Angst! Ich will weg!“ Der Arbeitende darf nicht nur seine Empfindungen und Gefühle ausdrücken, sondern auch seine aktuellen Gedanken, die er im Alltag oft nicht mitzuteilen wagt. Dies können zum Beispiel folgende Aussprüche sein: „Was soll der Mist hier! Das ist doch verrückt, was wir hier machen! Euer Schreien geht mir auf die Nerven!“ Natürlich dürfen auch positive Gefühle gespürt und ausgedrückt werden.“ Ich genieße deine Nähe. Ich fühle mich bei dir geborgen. Deine Nähe lässt mich entspannen und ruhiger werden.“ Wir Therapeuten gehen zu den Paaren, vor allem wenn wir um Beistand und Hilfe gebeten werden, also wenn die Arbeitenden sich unsicher fühlen oder nicht mehr weiterkommen. Wir fragen dann die Betroffenen, was sie gerade fühlen, an was sie arbeiten und machen ihnen Mut, ihre Gefühle und Gedanken laut auszudrücken. Oft helfen auch Sätze, welche die Grundbedürfnisse von uns Menschen ansprechen. Wie zum Beispiel: „Ich brauche ganz viel Liebe! Meine Gefühle und Bedürfnisse sind in Ordnung! Ich wünsche mir Sicherheit und Geborgenheit! Ich brauche mehr Freiraum! Ich bin gut so wie ich bin!“ Durch das Körpergewicht und die ungewöhnliche Nähe zum Partner werden irgendwann verdrängte und belastende Gefühle, wie Verletzungen aus der Kindheit und Vergangenheit, aus dem Unterbewusstsein geweckt und spürbar. Solch eine „Mattenarbeit“ dauert ca. 30-45 Minuten. Anschließend bedankt sich der Arbeitende bei seinem liebevollen Begleiter und man wechselt die Positionen. Im Anschluss an die gefühlsintensive Selbsterfahrung der Paare bietet der Therapeut meist jedem Teilnehmer eine Einzelarbeit in der Gruppe zur tieferen Aufarbeitung seiner Verletzungen an. Dies nennen wir „Einstellungsarbeit“. Die Bonding-Psychotherapie ist ein gefühlsorientierter und körperbezogener Lernprozess, der auf dem Zugang zu tiefen Gefühlen, der Erarbeitung von positiven Einstellungen zu sich und anderen und der Entwicklung und Einübung von neuen Verhaltensweisen basiert. Somit werden alle drei wichtigen Therapieebenen angesprochen. Eine der wichtigsten Entdeckungen von Dr. Casriel ist die Bedeutung eines biologisch verankerten Grundbedürfnisses des Menschen nach Dazugehörigkeit und Eingebundensein in eine soziale Gemeinschaft. Die seelischen und psychosomatischen Krankheiten des heutigen Menschen betrachtet Casriel als das Ergebnis einer kulturell bedingten Konditionierung. Der Kern dieser Konditionierung ist ein Zustand des Mangels im Bereich eines lebenswichtigen Grundbedürfnisses des Menschen, nämlich der Bindung. Genauer gesagt ist Bonding das biologisch verankerte Grundbedürfnis des Menschen nach gefühlsmäßiger Offenheit (Herzoffenheit) und körperlicher Nähe zu anderen Menschen. Dan Casriel war während des Zweiten Weltkrieges im Einsatz auf Okinawa, einer Insel im Pazifik, und beobachtete dabei die dortigen Ureinwohner. Ihm fiel bemerkenswerterweise auf, dass die Menschen dort kaum Kriminalität, Streit und Missgunst kannten. Er bewunderte, wie friedlich, lebensfroh und herzoffen diese Insulaner waren. Bei der Beobachtung dieses scheinbar primitiven Volkes erfuhr er eine natürliche Selbstverständlichkeit der Erfüllung aller menschlichen Grundbedürfnisse. Säuglinge und Kleinstkinder wurden fast immer am Körper der Mutter getragen, hatten freien Zugang zur Brust, wurden gehalten und waren über den Körper der Mutter in das Tagesgeschehen der Gemeinschaft eingebunden. Selbst Kinder von drei Jahren und älter wurden noch oft getragen, nicht nur von der Mutter, sondern auch von älteren Geschwistern, Tanten und Onkeln usw. Diese natürlichen Entwicklungsbedingungen der Kinder führten vermutlich zu einer intakten und friedliebenden Gesellschaft. Bedingt durch die Verhältnisse unserer Kleinfamilien und dem Stress des modernen Lebensstils erleben Kinder der westlichen Welt häufig einen schmerzhaften Mangel an liebender körperlicher und seelischer Zuwendung. Sie lernen früh, dass der Preis für Liebe oder Zuwendung, wie Leistungsorientiertheit und Anpassungsdruck, sehr hoch ist, und geben ihm nach. Diese kindlichen Entscheidungen bleiben als Lebensüberzeugungen im Erwachsenen gespeichert und prägen sein Verhalten. So entsteht ein Teufelskreis. Die Enttäuschung über ein unerfülltes Liebesbedürfnis, welches in der Kindheit schmerzhaft oder ärgerlich erlebt wurde, verstärkt die Überzeugung, auch selber nicht liebenswert zu sein. Man verhält sich dementsprechend zurückhaltend oder feindselig und wirkt auf die menschliche Umwelt so ein, dass man wiederum erneut enttäuscht wird. Aus solchen Kreisläufen entstehen eingefahrene Gefühls-, Denk- und Verhaltensmuster, die für den Betroffenen wie ein Gefängnis sind. Wirkliche Veränderung findet nur dann statt, wenn das Neuerlernen alle drei Ebenen, die des Fühlens, des Denkens und des Verhaltens, umfasst. Der Mensch ist für Casriel von seiner Natur her gut und wertvoll. Casriel geht es um eine Wiederentdeckung des Ursprünglichen, des biologischen Selbst. Die Erfahrung, dass die eigenen Bedürfnisse eine Quelle der Freude für sich und andere sind, ermöglicht wieder eine gefühlsmäßige Bindung zu anderen Menschen. Die drei Grundberechtigungen nach Casriel: „Ich bin“ (steht für: „Ich lebe“), „Ich brauche“ (meine Bedürfnisse sind gut), „Ich bin berechtigt“ (für mich zu sorgen, Fehler zu machen, glücklich zu sein, usw.) werden erfahrbar. Der wesentliche Inhalt der Arbeit Dr. Casriels besteht in der Erlaubnis, menschlich sein zu dürfen, oder mehr noch, seine Menschlichkeit wieder in Besitz zu nehmen. Dies bedeutet einerseits, sich die Berechtigung zurückzuerobern, Gefühle zu haben, diese zu mobilisieren und auszudrücken, und andererseits, das Grundbedürfnis nach Nähe zu anderen anzuerkennen und daraus Freude zu schöpfen. Bonding ist die mehr und mehr angstfreie Beziehung zu dem Geschenk des Lebens, zu allen Mitmenschen und Lebewesen. Dr. Walther Lechler: „Bonding ist Ausdruck einer Lebenshaltung, Lebenseinstellung, Lebensweise, die Identität zu deren Bild wir geschaffen sind und auf die wir uns hin entwickeln müssen, wenn wir leben und nicht dahinsiechen und sterben wollen.“

Vielen von uns ist es nicht bewusst, dass wir oft in einer Scheinwelt aus Selbstlügen und Kompromissen leben, die wir um uns herum aufgebaut haben. Wir belügen uns oft, weil wir manchmal zu feige sind, uns selber treu zu sein, wodurch wir an der Entwicklung unserer Persönlichkeit und Fähigkeiten behindert werden. Dies wird sehr eindringlich und einleuchtend in der kleinen Erzählung von Heinz Körner: „Johannes“ verdeutlicht:

Plötzlich stand Johannes vor mir, groß und übermächtig. Ich sei genauso feige wie alle anderen, schrie er. Ich wüsste genau, was mit mir los ist. Aber ich sei zu feige, ich sei wie ein kleines Kind, das sich nicht traut! Zunächst war ich sprachlos. Ich begriff überhaupt nicht, was los war. Dann schrie ich zurück. Lass mich doch in Ruhe, brüllte ich. Woher willst du wissen, was mit mir los ist? Er ließ sich nicht beirren. Kümmere dich endlich mal um dich selber, statt über andere zu jammern! Aber du machst ja in die Hosen vor deinen eigenen Wünschen. Du hast ja Angst vor dir selbst! Ich sprang auf. Jetzt reicht‘s aber! rief ich und machte einen Schritt auf ihn zu. Getroffene Hunde bellen, wie? lachte er. Habe ich dich endlich getroffen? Dann bist du ja noch da! Dann lebst du ja doch noch! Du, der du nicht mehr fühlst, was Leben ist. Der Bücher statt Menschen liebt. Der lieber ins Kino geht, weil ihm das wirkliche Leben zu gefährlich ist. Lebst du also doch noch? Sei sofort ruhig! brüllte ich. Höre sofort auf damit! Ah, du bist genauso verlogen wie alle anderen, rief Johannes. Du kannst die Wahrheit nicht hören. Du hast dir sogar die Lüge zum Werkzeug gemacht, um dein erbärmliches Leben ertragen zu können! Um nicht zu spüren, was das Leben in dir will. Das Leben hinter deiner Pappfassade, hinter der du dir in die Hosen machst vor Angst, jemand könnte dich entdecken. Siehst du ihn denn nicht, den Menschen in dir? Er kam auf mich zu, packte mich am Kragen und rief: Hier, sieh genau hin! Da sitzt dein Leben! Und dann sah ich ihn wieder. Geknebelt und gefesselt saß er in einem dunklen, fensterlosen Raum. Es machte mir unerträgliche Angst, ihn zu sehen. Plötzlich war auch Johannes da. Er ging auf den anderen zu und riss ihm die Fesseln vom Leib. Er zerfetzte den Knebel und rief: Steh endlich auf! Der andere stand auf. Er, der ich war. Er, der ich als Kind schon gewesen bin. Den aber niemand hat wachsen lassen. Den ich ängstlich versteckt hatte. Er stand auf und wuchs. Er wuchs ungeheuer. Bald füllte er den ganzen Raum. Doch er wuchs weiter, drückte mich an die Wand. Dann sprengte er die Mauern. Kilometerweit flogen die Steine umher. Er stand zum ersten Mal in seinem Leben im Licht. Und er begann zu schreien. Er schrie aus der Tiefe seiner Seele, wie niemals zuvor ein Mensch geschrien hatte. Sein Schrei ging mir durch Mark und Bein. Ungeheure Ströme wurden in mir wach. Und er wurde größer und größer, und sein Schrei erschütterte das Universum. Plötzlich merkte ich, dass ich es war, der schrie! Jahrelange Schmerzen strömten aus meinem Körper. Sie verließen mich als ein Schrei, der meine Mauern zerfetzte. Die Mauern, die mir jahrelang Schutz geboten, doch die mir auch den Zutritt zum Leben verbaut hatten. Sie fielen in sich zusammen. Ich brüllte all meinen Schmerz hinaus in die Welt. Johannes kam langsam auf mich zu und nahm mich sanft in seine Arme. Behutsam drückte er mich an sich. In diesem Augenblick brachen noch mehr Dämme in mir. Ich fühlte, wie ungeahnte Verkrampfungen sich lösten. Ich fühlte die entsetzlichen Schmerzen, die ich aus Gewohnheit nicht mehr gefühlt hatte. Unglaubliche Kräfte stiegen in mir hoch, Kräfte, die ich jahrelang unterdrückt hatte. Ich fühlte, wie sehr ich mich selber unterdrückt hatte und wurde von einer maßlosen Wut ergriffen. Blindlings schlug ich plötzlich um mich und prügelte auf Johannes ein. Er wehrte sich nicht, hielt nur die Arme vors Gesicht und ließ mich gewähren. Ich wusste nicht mehr, was ich tat. Besinnungslos schlug ich weiter um mich, bis zum Zusammenbruch. Schluchzend fiel ich ins Gras und wimmerte wie ein kleines Kind. Johannes beugte sich zu mir herab und sagte leise: Sprich es aus. Sag was dir weh tut. Letztlich kam ich zu mir. Irgendetwas war nicht richtig gewesen, und mit einem Schlag war ich durch diese Aufforderung von Johannes wieder in der Realität. Ich musste eingeschlafen gewesen sein. Vielleicht hatte ich geträumt, doch wenn es ein Traum war, dann war er wirklicher gewesen als mein ganzes Leben. Ich weinte hemmungslos, während Johannes mich immer wieder aufforderte, meinen Schmerz auszudrücken. Du hast geträumt“, sagte er, und dein Traum war wichtig. Er hat dir deine Schmerzen gezeigt. Doch jetzt musst du sie aussprechen. Je öfter er dies sagte, desto mehr würgte sich etwas in meinem Hals langsam nach oben. Schließlich musste ich mich übergeben und fühlte mich auf einmal sehr schwach, doch gleichzeitig frei wie noch nie. Ich setzte mich auf und bemerkte, dass Johannes aus der Nase blutete. Du blutest! rief ich erschrocken. Habe ich dich wirklich geschlagen? Er nickte. Alles, was deine Schläge angerichtet haben, wird wieder heilen. Hättest du mich jedoch nicht geschlagen, würden deine Wunden vielleicht niemals heilen.“

So wie Heinz Körner in seiner Erzählung „Johannes“ den Selbstfindungs- und Selbstheilungsprozess darstellt, so kann man sich auch eine erfolgreiche Bondingtherapie vorstellen. Durch das Bewusstwerden und -spüren verdrängter kindlicher Verletzungen und das laute Herausschreien von dazugehörenden Gefühlen wie Wut, Schmerz und Trauer kann unsere alte, nicht mehr notwendige Schutzmauer (Abwehr) zusammenbrechen. Wir spüren uns dann mit unseren bisher unterdrückten Gefühlen, verdrängten Verletzungen und unerfüllten Bedürfnissen und Sehnsüchten. Durch den Bondingpartner, unseren Teddybären, fühlen wir uns gehalten, beschützt und es tut gut, ihn als wohlwollenden Zeugen unserer Not zu erleben. Ein bisher verdrängtes Geheimnis öffentlich zu machen, schenkt uns Kraft und Klarheit. Und wir fühlen uns in der Großgruppe gesehen, verstanden, angenommen und mit unserer Selbstheilungs- und Selbstfindungsarbeit wertgeschätzt.

Ein ähnlicher Heilungsprozess durch Bondingtherapie wird von einer ehemaligen Patientin der psychosomatischen Klinik Bad Herrenalb in dem sehr empfehlenswerten Buch „Von mir aus nennt es Wahnsinn“ von Walther Lechler und Jacqueline Lair eindrucksvoll beschrieben.

Gerade komme ich von der Hochzeit meines jüngeren Sohnes und überarbeite zum wiederholten Male mein Buchmanuskript. Während der tief berührenden Ansprachen und Zeremonien wurde mir plötzlich ein Schlüsselerlebnis, das ich als Vater mit ihm in seiner Kindheit hatte, bewusst. Ich möchte es dir, lieber Leser, nicht vorenthalten, da es die tiefe Bedeutung und den Wert der Bondingtherapie verdeutlicht. Damals, als mein Sohn ca. 6-7 Jahre alt war, machten wir Eltern uns große Sorgen um ihn, da er unglücklich wirkte, sehr gereizt auf seine drei Geschwister reagierte und von diesen, wohl auf Grund seines Verhaltens, ausgegrenzt wurde. Auch in der Schule war er sehr unruhig, unaufmerksam und störte öfter den Unterricht so sehr, dass er von seinem eigentlich sehr wohlwollenden Klassenlehrer nach Hause geschickt wurde. Eine Psychologin diagnostizierte damals ein ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung). Als noch unerfahrener Vater las ich damals mit großem Interesse das Buch „Der kleine Tyrann“ von Frau Dr. Irina Prekop, einer tschechoslowakischen Kinderärztin und Pädagogin. Sie entwickelte und verbreitete in Deutschland die „Festhaltetherapie“ für autistische und schwierige Kinder. Sie empfahl, Kinder, wenn sie gefühlsmäßig extrem heftig reagieren, toben und schreien, diese liebevoll, aber auch sicher in den Armen zu halten, damit sie weder sich selbst noch den haltenden Elternteil verletzen können. Bei dieser oft ungewohnten und erzwungenen Nähe werden dann die Kinder noch wütender und können all ihre Verletztheiten laut ausdrücken. Dies öffnet das Herz des haltenden Elternteiles, sodass die tiefe Liebe und Verbundenheit zum eigenen Kind erweckt und gespürt wird. Das Kind spürt das Wohlwollen und die Liebe des Elternteiles, baut Vertrauen auf und beruhigt sich dann auch schnell wieder. Beide können nach langen konfliktbelastenden Zeiten anschließend wieder zueinander finden, kuscheln und ihre Liebe zueinander empfinden und ausdrücken. Rückblickend war ich damals sehr mutig, dieses „Festhalten“ meines Sohnes ohne die Gegenwart und Anleitung eines Festhaltetherapeuten zu wagen. Er schrie sehr laut „Lass mich los! Ich muss auf Toilette! Warum machst du das?“ Als ich ihn dennoch nicht losließ und kein Wort erwiderte, ging ein Gewitter über mich los. Er schrie „Du hast doch all meine Geschwister viel lieber als mich! Keiner liebt mich! Alle anderen sind euch doch wichtiger!“ Aus tiefstem seelischem Verletztsein und mit voller Wucht erlaubte er sich, all seine Wut auf mich, ähnlich einem reinigenden Gewitter, herauszuschreien. Dies hatte er vermutlich im Alltag nicht gewagt, aus Angst, dann noch weniger geliebt zu werden. Als er in dieser Situation erlebte, dass ich mich nicht, wie vielleicht gewohnt, rechtfertigte oder ihn mit Missbilligung strafte, sondern ihm aufmerksam zuhörte und weiterhin liebevoll festhielt, beruhigte er sich langsam. Er vertraute mir und meiner Liebe, die ich in diesem Moment ganz tief für ihn spürte und begann langsam dieses liebevolle Gehaltenwerden zu genießen und mit mir zu schmusen. Wir beide waren damals erstmals sehr innig und glücklich miteinander. Bei seiner aktuellen Hochzeit wurde mir bewusst, wie wichtig dieses damalige Schlüsselerlebnis für mich und vermutlich auch für ihn war. Bevor ich das Bonding später als Erwachsener für mich selbst wertschätzen lernte, hatte ich es in der Beziehung zu meinem Kind schon einmal positiv erlebt. Bei Vorträgen an den Pfingsttagen in Bad Herrenalb erlebte ich Frau Dr. Irina Prekop persönlich und war begeistert von der Ausstrahlung ihrer Persönlichkeit und ihrem Konzept.

Video: Chancen der Heilung durch die Bonding-Therapiemethode