Während meiner Ausbildung zum Bonding-Psychotherapeuten (1998 -2005) lernte ich erstmals die Technik des Holotropen Atmens kennen und wertschätzen. Entwickelt wurde diese Atemtechnik von dem Psychotherapeuten und Psychiater Stanislav Grof, der in Prag Medizin und Medizinphilosophie studierte. Anfangs erforschte Stanislav Grof die Wirkung psychedelischer Substanzen wie LSD, welche einen erweiterten Bewusstseinszustand hervorrufen und setzte sie zur Therapie von psychischen, psychosomatischen und psychiatrischen Störungen (Psychosen/Wahnvorstellungen) ein. Da LSD in vielen Ländern illegal war, entwickelte er in der Mitte des letzten Jahrhunderts in Amerika das Holotrope Atmen. Durch vertieftes und schnelleres Atmen, also durch Hyperventilation, erreichte er bei seinen Patienten ähnliche erweiterte Bewusstseinszustände (Erfahrungsbereiche, die dem Bewusstsein normalerweise nicht zugänglich sind), die zur ganzheitlichen Heilung beitrugen (Holotrope Atemarbeit, vom griechischen holos „ganz“ und trepein „sich richten auf“ oder „sich begeben“, „auf Ganzheit ausgerichtet“). Das Ziel dieser Technik ist die Bearbeitung und Integration bislang unzureichend integrierter Persönlichkeitsanteile, die Lösung von Blockaden (alte Verletzungen/seelische Narben) und eine Hinbewegung auf eine Ganzheit, also auch Erlebensbereiche, die Raum und Zeit des eigenen Lebens überschreiten (transpersonal). Er wurde somit Begründer der Transpersonalen Psychotherapie, welche neben humanistischen Aspekten auch religiöse und spirituelle Erfahrungen der Psyche berücksichtigt. Beim Holotropen Atmen kommt es oft zu außergewöhnlichen sensorischen (spürbaren) und visuellen (sichtbaren) Wahrnehmungen (Formen, Gerüche, Empfindungen und Farben, die wir im wirklichen Leben oft nicht kennen). Es kann auch zu verstärkten psychosomatischen Reaktionen (Empfindungen/Beschwerden in Körperregionen) kommen, Wiedererleben bedeutender traumatischer (verletzender) Lebenssituationen, wie möglicherweise der eigenen Geburt und transpersonalen Erfahrungen, wie zum Beispiel, sich verbunden fühlen mit allen Lebewesen und dem Kosmos. Ähnlichkeiten bestehen zu den Methoden der Bioenergetik von Alexander Lowen und dem Rebirthing (Wiedergeburt) von Leonard Orr. Bei der Selbsterfahrung des Holotropen Atmens, welche meist in Gruppen praktiziert wird, liegt der Teilnehmer mit verschlossenen Augen (Augenbinde sinnvoll) auf einer Matte und atmet so tief und schnell wie möglich auf eine rhythmisch-mitreißende Musik (Instrumentalmusik oder Musikstücke aus Filmen). Neben ihm sitzt ein aufmerksam beobachtender Teilnehmer, der ihn vor Selbstverletzungen schützt, Wasser oder Taschentücher anreicht und ihm die notwendige Sicherheit vermittelt. Ähnlich wie bei der Bonding-Therapie begleitet ein erfahrener Therapeut diesen Selbsterfahrungsprozess, indem er zur Hyperventilation motiviert, Ängste abbaut und dem Teilnehmer Mut macht, in seiner Begleitung und in seinem Schutz in diesen außergewöhnlichen Bewusstseinszustand einzutreten. Gegebenenfalls nutzt der Therapeut Druckmassagen, um Blockaden zu lösen. Wie beim Bonding kommt es bei diesen Prozessen durch weitgehende Ausschaltung des Denkens zu starken Gefühlsausbrüchen (Katharsis = Reinigung), die oft zu einer Heilung alter Verletzungen (Blockaden) auf der Gefühlsebene führen. Nach diesen Atemprozessen, die je nach Therapeuten unterschiedlich lange dauern können, kann das Erlebte kreativ durch Malen ausgedrückt werden, und es findet ein Erfahrungsaustausch unter Leitung des Therapeuten in der Gesamtgruppe statt. Auf der körperlichen Ebene wird durch das Hyperventilieren vermehrt Kohlendioxyd (CO2) abgeatmet, wodurch es zu einer Verschiebung des Gleichgewichtes von Kohlensäure und Kalzium kommt. Der relative Kalziummangel kann wiederum häufig zu einem Kribbeln um den Mund und Verkrampfungen der Fingermuskulatur (Pfötchenstellung) führen. Durch vermehrte Abatmung der Kohlensäure kommt es zu einer Verschiebung des Säurebasenhaushaltes, einer Erhöhung des pH-Wertes im Blut (was auch zu einer Entsäuerung des Körpers führt). Dadurch kann man sich etwas benommen oder schwindlig fühlen. Eine weitere Folge ist, dass vermutlich unser Großhirn schlechter und unser emotionales Gehirn besser durchblutet werden, wodurch wir bei diesem Atemprozess vom Denken weg und vermehrt zum Fühlen, also zu unseren Gefühlen kommen. Diese Gefühle sollte man dann, wie auch beim Bonding, ausdrücken, wie weinen, lachen, schreien, etc. Da wir heutzutage vorwiegend zu Verstandesmenschen erzogen werden, ist dies eine bereichernde und oft neue und heilende Erfahrung, sich seiner Gefühle deutlicher bewusst zu werden.
Nun möchte ich dir auch meine eigenen Erfahrungen beim Holotropen Atmen mitteilen. Bei meinem ersten Atemprozess erlebte ich mich wie jemand, der sich mit viel Kraft durch eine Enge zwängt. Es war ein sehr gutes und starkes Gefühl. Leider bekam der begleitende Therapeut Ängste, weil ich mich so heftig bewegte. Er unterbrach deshalb meinen Prozess, worüber ich sehr enttäuscht und verärgert war. Bei dem Erlebnis war mir schnell bewusst, dass ich mich als Säugling durch den Geburtskanal ins Leben kämpfte. Grof nennt solche Erlebnisse perinatale (während der Geburt) Erfahrungen. Er teilt sie in vier Phasen ein, wobei ich die Austreibungsphase erlebte. Diese Erlebnisse scheinen prägend für das restliche Leben zu sein, weswegen er sie perinatale Matrizen (Muster/Programmierungen) nannte. Vielleicht bin ich deshalb ein Kämpfertyp und macht es mir Freude, Neues zu wagen und mich immer weiter zu entwickeln. Bei meinem zweiten Atemprozess fühlte ich mich in einem sicheren Schoß liegend (Buddha?) und sah Farben, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Diese Erlebnisse erschienen mir völlig real und wunderschön. Ich hätte in diesem Moment alles darauf gewettet, dass ich es real erlebe. Es ist keinesfalls üblich, dass man in den ersten Atemsitzungen in solche oder ähnliche Zustände gelangt und es kann auch einige Prozesse dauern, bis man angstfreier und somit offener ist und dadurch in tiefere Bewusstseinszustände kommt. Deshalb ist es gut, wenn man keine Erwartungen hat und sich einfach überraschen lässt und alles so annimmt, wie es kommt. Nachteilige Wirkungen beobachtete ich weder bei mir noch bei anderen Teilnehmern oder meinen eigenen Patienten. Als ich diese Therapieform über die Volkshochschule anbot, erlebte ich zwei ältere Damen, die erstmals wieder seit Jahren weinen konnten und sich anschließend sehr erleichtert und glücklich fühlten. Ein anderer Patient erlebte eine alte Unglückssituation mit Verbrennungen wieder und konnte sie dadurch verarbeiten und loslassen. Stanislav Grof setzte die von ihm entwickelte Therapiemethode auch bei Krebserkrankten ein und hatte dabei erstaunliche Erfolge.
Deshalb werde ich diese Therapiemethode auch in meinen Seminaren anbieten.